Sabiha Gökçen (* 22. März 1913 in Bursa; † 22. März 2001 in Ankara) war eine der ersten türkischen Pilotinnen und die erste Kampfpilotin der Welt.[1] Sie war eines von acht Adoptivkindern Mustafa Kemal Atatürks.
Gökçen wurde als Tochter des Vilayet-Hauptschreibers Hafız Mustafa İzzet geboren, der von Sultan Abdülhamid II. ins Exil geschickt worden war. Sabiha verlor ihren Vater während der Grundschulzeit, konnte jedoch aufgrund einer Unterstützung durch ihre Geschwister die Ausbildung fortführen.
Im Alter von zwölf Jahren traf sie in Bursa erstmals auf Atatürk.[2] Sie erzählte ihm, dass sie eine höhere Schule besuchen wolle. Nachdem Atatürk von ihren elenden Lebensumständen erfahren hatte, adoptierte er sie und ermöglichte ihr den Besuch der Çankaya-Grundschule in Ankara und später des Üsküdar-Mädchenkollegiums in Istanbul.
Atatürk gab ihr am 19. Dezember 1934 den Nachnamen „Gökçen“, was auf Türkisch „himmelsbezogen“ bedeutet.[2] Sie war kurze Zeit mit einem Luftwaffenmajor verheiratet, der 1943 starb.[2]
Im Februar 2004 veröffentlichte der Journalist Hrant Dink einen mit Dokumenten belegten Artikel in der armenischen Wochenzeitung der Türkei „AGOS“ mit dem Titel „Das Geheimnis von Sabiha Hatun“. Eine ehemalige Bewohnerin der Stadt Gaziantep, Hripsime Sebilciyan Gazalyan, gab an, Gökçens Nichte zu sein, und implizierte somit eine armenische Abstammung. Sie sagte, dass Gökçen ihre Familie 1915 beim Völkermord an den Armeniern verloren habe, daraufhin nach Urfa in ein Waisenhaus gegeben und anschließend von Atatürk adoptiert worden sei.[3][4][5][6] Die Adoptivtochter Atatürks, Ülkü Adatepe (1932–2012), bestritt diese Behauptung.[7][8] Laut Adatepe war Sabihas Mutter, Hayriye Hanım, eine ethnische Bosniakin.[9] Die bloße Vorstellung, dass Gökçen eine Armenierin gewesen sein kann, sorgte für großen Aufruhr in der Türkei und führte zu rassistischen öffentlichen Erklärungen.[10]
1935 begann ihre Pilotenausbildung an der türkischen Zivilflugschule in Ankara. Am Ende ihrer Flugausbildung wurde sie zusammen mit sieben männlichen Flugzeugführern zur Weiterbildung in die Sowjetunion beordert.[2] 1936 absolvierte sie ihren ersten Soloflug.[2] 1936 trat sie der türkischen Luftwaffe in der Militärflugschule Eskişehir bei, wo sie zur Militärpilotin ausgebildet wurde. Zu ihrer militärischen fliegerischen Ausbildung gehörte auch das Fallschirmspringen, war doch zur damaligen Zeit, in der Flugzeuge noch keine Schleudersitze hatten, der Absprung mit dem Fallschirm die einzige Möglichkeit, sich aus einer abstürzenden Maschine zu retten.
Ihre ersten Einsätze flog Gökçen im Sommer 1937 und Frühjahr 1938 während der Niederschlagung des Dersim-Aufstandes. Dabei unterstützte sie den Vormarsch der türkischen Bodentruppen, indem sie die Stellungen der Kurden bombardierte.[11][12]
Im Juli 1938 besuchte sie mit einem werbewirksamen Flug die Hauptstädte der Balkanstaaten.[13]
In Atatürks handschriftlichem Testament von 1938 erhielt Sabiha Gökçen 600 türkische Lira aus den Dividenden der von Atatürk gehaltenen Aktien im Gesamtwert von 2800 türkischen Lira. Zusätzlich bekam sie so viel Geld zugeteilt, dass sie sich ein Haus kaufen konnte.
Im Jahre 1951 nahm sie auch am Korea-Krieg teil. Sie war Mitglied des 1. Luftwaffenregiments in Eskişehir. Für besondere Tapferkeit, die sie bei ihren zahlreichen Einsätzen immer wieder unter Beweis stellte, wurde ihr der höchste Fliegerorden verliehen, und sie wurde in den Rang eines Majors befördert.
Gökçen hatte die Leitung der Kampfpilotenausbildung der türkischen Luftwaffe inne. Sie beendete ihren aktiven Militärflugdienst 1955 und widmete sich danach ganz der Pilotenausbildung in ihrem Beruf. Danach flog sie bis 1964 in einer Kunstflugstaffel, in der sie ihre außergewöhnlichen fliegerischen Fähigkeiten demonstrierte. Insgesamt 22 verschiedene Flugzeugtypen, sowohl Propellermaschinen als auch Jets, flog Sabiha Gökçen im Laufe ihrer Fliegerkarriere.
Ihr gesamtes Erwachsenenleben wirkte Gökçen für den Kemalismus. Nach Atatürks Tod schrieb sie Gedichte zu seinen Ehren und verfasste eine Autobiographie. Noch am Ende ihres Lebens sprach sie sich gegen den politischen Islam aus.[2]
Noch zu ihren Lebzeiten im Januar 2001 wurde der zweite Istanbuler Flughafen im kleinasiatischen Teil der Stadt nach ihr benannt.[2]
Die Ausbildung von Gökçen zur Militärpilotin diente mehreren Symbolfunktionen. Einerseits repräsentiert sie das Lehrmuster einer modernen türkischen Frau, der jede Berufswahl offenstand.[14] Andererseits wurde sie in ihrer Fortschrittlichkeit besonders für ethnisch-türkische Frauen zur Integrationsfigur in der noch jungen türkischen Republik.[15] Als Vertreterin der Mehrheitsethnie und der wohlhabenden Oberschicht wird in der Forschung heute aber auch ihre Rolle als Instrument der Unterdrückung von Minderheiten, insbesondere Kurden, erwähnt.[14] Hans-Lukas Kieser hebt daher die Fragwürdigkeit des „Mythos Sabiha Gökçen“ hervor. Als „moderne“ Türkin hat Sabiha Gökçen Bomben auf alevitische Kurden abgeworfen und die türkische Frau im Allgemeinen als Tochter einer soldatischen Nation verstanden.[16]
Personendaten | |
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NAME | Gökçen, Sabiha |
ALTERNATIVNAMEN | Gökcen, Sabiha (Schreibweise) |
KURZBESCHREIBUNG | türkische Kampfpilotin |
GEBURTSDATUM | 22. März 1913 |
GEBURTSORT | Bursa, Türkei |
STERBEDATUM | 22. März 2001 |
STERBEORT | Ankara, Türkei |