Die Raduga Ch-22 Burja (russischРадуга Х-22 Буря) ist ein flugzeuggestützter Seezielflugkörper und Marschflugkörper aus sowjetischer Produktion. Der Systemindex der Sowjetarmee für den Raketenkomplex lautet K-22 und im GRAU-Index wird der Raketenkomplex D-2 bezeichnet. Der NATO-Codename lautet AS-4 Kitchen.
Ch-22
Ch-22 im Museum für Luftfahrttechnologie in Tambow.
950kg hochexplosiv-panzerbrechend oder Nukleargefechtskopf mit 350 kT
Waffenplattformen
Flugzeuge
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Entwicklung
Die Ch-22 wurde als Langstrecken-Seezielflugkörper und als Marschflugkörper gegen Landziele konzipiert. Die Entwicklung im Konstruktionsbüro Raduga begann 1958. Die ersten Raketen wurden 1964 an die sowjetischen Marine-Fliegerstreitkräfte ausgeliefert.[1] In den darauffolgenden Jahren wurden knapp 3000 Ch-22 produziert.[2] Die Ch-22 dient primär zur Bekämpfung von Flugzeugträgerkampfgruppen und Seekriegsverbänden. Die Lenkwaffe wurde dafür konzipiert, ein großes Kriegsschiff mit einem einzelnen Treffer zu versenken oder zumindest operationsunfähig zu machen. Mit der nuklearen Variante kann ein ganzer Flottenverband mit einem Schlag vernichtet werden.[3]
Ch-22PG: 1. Serienversion mit aktiver Radarzielsuche und konventionellem 950-kg-Penetrations-Sprengkopf. Fluggeschwindigkeit Mach 3,4. Reichweite 400km.
Ch-22N: Marschflugkörper gegen Landziele. Mit 1000-kT-Nuklearsprengkopf. Fluggeschwindigkeit Mach 3,4. Reichweite 500km.
Ch-22PSI: Eingeführt 1971. Version gegen Landziele und Schiffe. Mit 350-kT-Nuklearsprengkopf. Reichweite 550km.
Ch-22B: Experimental-Lenkwaffe mit einer aeroballistischen Flugbahn. Flughöhe 70.000m mit Mach 6,0.
Ch-22M: 2. Serienversion, eingeführt 1976. Mit einem neuen Suchkopf und verbessertem Triebwerk. Mit aktiver Radarzielsuche und konventionellem 950-kg-Penetrations-Sprengkopf. Reichweite 400km.
Ch-22MA: Version der Ch-22M mit 350-kT-Nuklearsprengkopf. Eingeführt 1974.
Ch-22MP: Version mit passivem Radarsuchkopf. Reichweite 400km. Eingeführt 1974.
Ch-22MPSI: Version gegen Landziele und Schiffe. Mit 350-kT-Nuklearsprengkopf. Reichweite 550km.
Ch-22NA: Version für Einsatz im Tiefflug gegen Landziele und Schiffe. Mit aktiver Radarzielsuche und 350-kT-Nuklearsprengkopf oder konventionellem 630-kg-Penetrations-Sprengkopf. Reichweite 360km. Eingeführt 1976.
Ch-22MN: 3. Serienversion mit einem neuen Suchkopf und verbessertem Triebwerk. Mit aktiver Radarzielsuche und konventionellem 630-kg-Penetrations-Sprengkopf. Reichweite 380km.
Ch-22MNP: Version mit passivem Radarsuchkopf. Reichweite 380km.
Ch-22MNPSI: Version gegen Landziele und Schiffe. Mit 350-kT-Nuklearsprengkopf. Reichweite 570km.
Ch-32: Neue Version eingeführt 2016.[2] Mit komplett neuer Elektronik, U501M-Radarsuchkopf, Triebwerk, GLONASS / GPS-Satelliten-Navigationssystem und 500kg schwerem TK-56-Sprengkopf.[7] Fluggeschwindigkeit über Mach4. Flughöhe über 40.000m. Reichweite 600–1000km.[8] Russland plant die Nachrüstung älterer Ch-22 auf den Stand der Ch-32.[2]
Technik
Ch-22 unter einer Tu-22KD
Vor dem Start wird dem Navigationssystem der Lenkwaffe die grobe Position sowie der Kurs zum Ziel eingegeben. Nach dem Abwurf folgt eine kurze antriebslose Phase. In sicherem Abstand zum Flugzeug zündet das R-201-300-Raketentriebwerk im Lenkwaffenheck. Die Ch-22 wird von dem Zweikammer-Triebwerk für Flüssigtreibstoff angetrieben. Im Lenkwaffenrumpf befinden sich 3049kg Treibstoff TG-02 und 1015kg Oxidator AK-2. Die Rakete muss unmittelbar vor ihrem Einsatz auf dem Stützpunkt mit den toxischen Flüssigkeiten betankt werden.[6] Nach dem Lenkwaffenstart entwickelt das Triebwerk einen Schub von 83kN. Während des Marschfluges liegt die Schubkraft bei 5,9kN. Erst beschleunigt das Triebwerk die Lenkwaffe auf eine Geschwindigkeit von rund Mach 3,4 (Mach 3,44 ±0,05). Danach erfolgt der Marschflug in einer Flughöhe von 18.500 bis 27.000m, mit Weiterbeschleunigung auf eine Geschwindigkeit von Mach 4,6 (ca. 4.900km/h).[9] Der Flug ins Zielgebiet erfolgt autonom mit Hilfe des APK-22A-Autopiloten.[10] Aktualisierte Zieldaten können mittels eines Datenlinks von der Startplattform zur Lenkwaffe gesendet werden. Ein Radarhöhenmesser sorgt für den nötigen Sicherheitsabstand zwischen der Lenkwaffe und der Meeresoberfläche. Für den Zielanflug kommt der bordeigene– entweder aktive oder passive– Radarsuchkopf zum Einsatz. Wurde das Ziel erfasst, wird es in einem steilen Sturzflug von 30 bis 60° angeflogen.[4][5]
Als Marschflugkörper kann die Ch-22 gegen stationäre, radarreflektierende Landziele eingesetzt werden.[3] In diesem Fall ist die Ch-22 mit einem Nukleargefechtskopf oder einem Splittergefechtskopf bestückt.[5] Weiterhin existierte für den Angriff auf Landziele ein Gefechtskopf mit chemischem Kampfstoff. Dieser 9-A-3261-Gefechtskopf (russischБЧ-22ВС, BTsch-22WS) war mit 572kg VX (russische Bezeichnung R-33) beladen.[11] Bei Landzielen scheint sich der Suchkopf auf eine große einzelne Struktur mit einem entsprechend großen Radarquerschnitt zu richten.[12][13]
Einsatz
Erster Golfkrieg
Während des Ersten Golfkriegs (Iran-Irak-Krieg) griffen irakische Tu-22B-Bomber mehrfach iranische Flugabwehrraketen-Stellungen mit Ch-22MP an. Bei diesen Einsätzen wurde eine große Zahl von Lenkwaffen auf verschiedene MIM-23B-I-HAWK-Stellungen abgefeuert, allerdings nur ein einziger Treffer erzielt. Die Gründe dafür waren die schlechte Ausbildung der Tu-22-Besatzungen, die mangelhafte Wartung der Lenkwaffen und Schwierigkeiten des passiven Radarsuchkopfes der Ch-22MP, die Radarstrahlung der MIM-23 auf große Distanzen zu lokalisieren. Deshalb mussten die Lenkwaffen aus Entfernungen von 60km oder weniger gestartet werden.[14]
Weitere Ch-22 wurden von Tu-16-Bombern gegen Flächenziele im Iran gestartet. Wiederholt wurden Erdölraffinerien sowie Teheran und andere Städte angegriffen.[15]
Russischer Überfall auf die Ukraine 2022
Video zum Marschflugkörpereinschlag in das Einkaufszentrum in Krementschuk
Beim russischen Überfall auf die Ukraine 2022 starteten russische Tu-22M-Bomber im Mai 2022 eine unbekannte Anzahl Ch-22. Die Raketen wurden gegen Landziele in der Region Donezk, Serhijiwka und Odessa eingesetzt. Bei diesen Einsätzen kam vermutlich auch erstmalig die Ausführung Ch-32 zum Einsatz.[12][16][17][18]
Am Pfingstsonntag 5. Juni 2022 morgens wurden unter anderem fünf Ch-22 von russischen Bombern, wohl vom Kaspischen Meer aus, in Richtung Kiew abgefeuert, von denen eine abgefangen werden konnte.[19] Vier Ch-22 trafen das Waggonwerk Darnyzja in Kiew. Während das russische Verteidigungsministerium behauptete, in diesem Werk im Zuge der Auslandshilfen für die Ukraine gelieferte T-72-Panzer vernichtet zu haben, dementierte Kiews Bahnchef Oleksandr Kamyshin dies.[20] Weitere Ch-22 sollen aus dem Luftraum von Belarus gegen Kiew gestartet worden sein.[21]
Am 27. Juni feuerte Russland zwei Ch-22 auf ein vermeintliches Ziel im 100km von der Frontlinie entfernten Krementschuk. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich etwa 300 Menschen in einem dabei getroffenen Einkaufszentrum, mindestens 20 Menschen wurden getötet und rund 60 verwundet, die Anzahl der Verschütteten war unbekannt. Eine zweite Ch-22 schlug rund 500m nördlich in ein Industriegebiet ein.[22][23][24][25]
→ Hauptartikel: Raketenangriff auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk
21 Zivilisten starben bei einem Angriff am 1. Juli mit zwei Raketen auf Serhijiwka, wo laut Amnesty International ein Hotel und ein Wohngebäude getroffen wurden.[26] In der Ukraine war davon die Rede, dass der Angriff eine Vergeltung für den erzwungenen Abzug der russischen Truppen von der Schlangeninsel war.[27][28]
Am 14. September meldete der Verwaltungschef des Gebiets Dnipropetrowsk, russische Kampfflugzeuge hätten sieben oder acht Ch-22 auf zivile Infrastruktur abgefeuert. Sie zerstörten ein Pumpwerk am Karatschuniwka-Stausee, der der Versorgung von 625.000 Einwohnern, vor allem in Krywyj Rih, dient. Auch die Transportinfrastruktur der Stadt sei angegriffen worden.[29]
KasachstanKasachstan – ausgemustert. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die Ch-22 im Jahr 1993 an Russland abgegeben.
RusslandRussland – im Einsatz
UkraineUkraine – ausgemustert. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hat die Ukraine im Rahmen des Budapester Memorandum und im Zuge der Nunn-Lugar-Initiative 423 Ch-22 aus sowjetischen Beständen verschrottet.[31][32]
Literatur
Duncan Lennox: Jane’s Air launched Weapon, Edition 1997. Jane’s Information Group, Vereinigtes Königreich, 1997, ISBN 978-0-7106-0866-6.
Tom Cooper, Farzad Bishop, Arthur Hubers und Ahmad Sadik:Bombed by Blinders.Part 1.(Nicht mehr online verfügbar.)24.November 2010,archiviertvomOriginalam3.Juli 2011;abgerufen am 10.April 2012(englisch).
Tom Cooper, Farzad Bishop, Arthur Hubers und Ahmad Sadik:Bombed by Blinders.Part 2.(Nicht mehr online verfügbar.)5.Dezember 2010,archiviertvomOriginalam22.August 2012;abgerufen am 10.April 2012(englisch).
Selenskyj zu Angriff auf Einkaufszentrum in Krementschuk: »Eine der dreistesten Terrorattacken in der Geschichte Europas«. In: Der Spiegel. 28.Juni 2022, ISSN2195-1349 (spiegel.de[abgerufen am 28.Juni 2022]).
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