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Die Tupolew Tu-104 (russisch Туполев Ту-104, NATO-Codename Camel) hob erstmals 1955 als zweites Strahlverkehrsflugzeug der Welt ab, drei Jahre nach der Aufnahme von Linienflügen durch die De Havilland DH.106 Comet. Sie wurde vom Tupolew OKB entwickelt und aus dem Bomber Tu-16 abgeleitet. Sie war etwas größer und schneller als die Comet, hatte aber eine geringere Reichweite. Ein Jahr nach dem Erstflug wurde die Maschine ab 1956 im Liniendienst eingesetzt. Bis zum Produktionsende 1960 wurden etwas mehr als 200 Flugzeuge dieses Typs produziert.

Tupolew Tu-104
Tu-104B der Aeroflot 1972 in Stockholm
TypStrahlverkehrsflugzeug
Entwurfsland

Sowjetunion 1955 Sowjetunion

Hersteller OKB Tupolew
Erstflug 17. Juni 1955
Indienststellung 15. September 1956
Produktionszeit

1956–1960

Stückzahl 201

Entwicklung und konstruktiver Aufbau


Cockpitdetail
Cockpitdetail
Passagierkabine
Passagierkabine

Für die Verwendung im Passagierverkehr wurde der auf militärische Anforderungen konzipierte Rumpf neu entwickelt. So wurde der Rumpfdurchmesser von 2,90 m auf 3,40 m vergrößert, jedoch ohne die Einschnürungen im Bereich der Triebwerksanordnung wie bei der Tu-16. Dies ergab eine druckbelüftete Kabine von 16,11 m Länge, 3,2 m Breite und 1,95 m Höhe. Die Kabine wird durch ein erhöhtes Mittelstück im Bereich des Tragflügelmittelstücks in einen vorderen und einen hinteren Kabinenbereich unterteilt. Dort wurde bei den ersten Serienflugzeugen die Bordküche installiert. Das Cockpit ist für eine fünfköpfige Besatzung, bestehend aus Pilot, Copilot, Navigator (in der verglasten Bugkanzel), Funker und Flugingenieur, ausgelegt.

Wegen der Rumpfänderungen musste auch die Anordnung der Triebwerke geändert werden. Die Triebwerksgondeln zur Aufnahme der für damalige Verhältnisse riesigen Mikulin-AM-3M-Triebwerke wurden nun in die Tragflächen integriert. Die Triebwerke waren im hinteren Bereich der Gondeln untergebracht. Der Tragflügel erhielt ein breiteres Mittelstück, war aber ansonsten von der Tu-16 übernommen worden. Die Höhenflosse war nun auf dem Rumpfheck angebracht, das Bugfahrwerk weiter vorn platziert. Einige Versionen hatten – ungewöhnlich für ein Passagierflugzeug – einen Bremsschirm.

Der Prototyp, Luftfahrzeugkennzeichen CCCP-Л5400, hob am 17. Juni 1955 zu seinem Jungfernflug ab. Pilot war J. I. Alaschejew. Bereits am 3. Juli 1955 wurde er auf der Luftparade in Tuschino der Öffentlichkeit vorgestellt.[1][2] Die Produktion erfolgte in den Flugzeugwerken Nr. 135 in Charkow (22 % der Produktion), Nr. 166 in Omsk (30 %) und später auch Nr. 22 in Kasan (48 %).[3]

Dank der Weiterentwicklung der Triebwerke konnte man im OKB Tupolew im Winter 1956/57 die Tu-104-A entwickeln. Sie hatte eine erhöhte Startmasse und 70 Sitzplätze für Passagiere. Der A-Version folgte die Tu-104B mit einem um 1,21 m verlängerten Rumpf. Die zusätzliche Nutzlaststeigerung ermöglichte es, die Passagierkapazität auf 100 Personen zu steigern (30 vordere Kabine, 15 Mittelbereich, 65 hintere Kabine). Ende der 1970er-Jahre wurden fast alle Tu-104 auf 104 oder 115 Sitzplätze umgerüstet. Für die sowjetischen Luftstreitkräfte wurde aus der Tu-104 das Transportflugzeug Tu-107 abgeleitet; dieses wurde aber nicht in den Bestand der Luftstreitkräfte übernommen. Eine andere Weiterentwicklung war die vierstrahlige Tu-110, die ebenfalls nicht in Serie ging.


Einsatz


Tupolew Tu-104A der ČSA (1970)
Tupolew Tu-104A der ČSA (1970)

Die Flugerprobung der Tu-104 lief relativ problemlos. Schon im Sommer 1955 begann die Aeroflot mit dem Besatzungstraining auf zwei entmilitarisierten Tu-16 (auch als Tu-104G bezeichnet). Erstmals im Westen landete die Tu-104 am 22. März 1956 in London-Heathrow in Vorbereitung eines sowjetischen Staatsbesuches. Der Besuch erregte unter westlichen Experten großes Interesse, zumal bis dahin die De Havilland DH.106 Comet das einzige Passagierflugzeug mit Strahlantrieb im Einsatz war.

Am 15. September 1956 begann die Aeroflot den Liniendienst auf der Strecke MoskauIrkutsk mit Tu-104. Ab dem 12. Oktober 1956 wurde auch die Strecke Moskau–Prag mit diesem Typ beflogen. Bis Anfang der 1960er Jahre wurde die Tu-104 zum wichtigsten Mittelstreckenflugzeug der Aeroflot. Einziger Exportkunde wurde die tschechoslowakische ČSA, die 1957 sechs Exemplare der Tu-104A erwarb, davon wurde eine Maschine zeitweise im Codesharing mit Alitalia verwendet.

Am 15. März 1959 nahm Aeroflot mit der Tu-104 die stark frequentierte Route Moskau–Leningrad auf.

Die Tu-104 wurde von der Aeroflot auch für Ausbildungszwecke eingesetzt. Ab 1981 wurde die Tu-104 von Aeroflot aus dem Betrieb genommen. Einige Maschinen wurden im Rahmen des Kosmonautentrainings als fliegende Trainer für Schwerelosigkeit genutzt.[4] Mindestens eine Maschine mit der Bezeichnung Tu-104 „Ziklon“ wurde für meteorologische Forschung verwendet. Die Tu-104 wurde bei den sowjetischen Streitkräften in den Versionen Truppentransporter/Ambulanzflugzeug, Navigatorentrainer und VIP-Transporter eingesetzt.

Wie alle der ersten strahlgetriebenen Passagierflugzeuge hatte die Tu-104 mit 37 Totalverlusten von ca. 200 (18,5 %) gebauten Maschinen eine für heutige Verhältnisse hohe Verlustrate. Sie lag damit deutlich schlechter als die DC-8 (14,5 %), in etwa auf dem Niveau der Boeing 707 (17,0 %) und besser als die De Havilland DH.106 Comet (21,9 %) sowie die Sud Aviation Caravelle (23,0 %). Zu Anfang der Nutzung gerieten mehrere Tu-104 aus unbekannten Gründen ins Flachtrudeln. Ein Zusammenhang mit der Konstruktion wurde zunächst nicht gesehen. Beim zweiten Absturz auf einem Linienflug am 17. Oktober 1958, bei dem alle 80 Insassen starben, funkten die Piloten einige Details zum Hergang des Absturzes. Daraufhin konnten die Ursachen ermittelt werden: Bei hohen Machzahlen (>0,82), Höhen über 10.000 m und hinteren Schwerpunktlagen von über 30 % konnten Böen von unten zu einem Hochreißen des Flugzeugs, Geschwindigkeitsverlust und anschließendem Trudeln führen. Dieses Phänomen war bis dahin nicht bekannt. Steuerelemente waren damals für solche Fälle nicht stark genug ausgelegt. Ende 1958 wurden konstruktive Änderungen getroffen und bestimmte Betriebsparameter beschränkt.[5]

Die Tu-104 war, wie fast alle Flugzeuge am Anfang des Strahlzeitalters, sehr laut.


Varianten


Tupolew Tu-104A der ČSA am Flughafen Stockholm/Arlanda, 1971
Tupolew Tu-104A der ČSA am Flughafen Stockholm/Arlanda, 1971

Zwischenfälle


Vom Erstflug 1955 bis zum Betriebsende 1986 kam es mit Tu-104 zu 37 Totalschäden von Flugzeugen. Bei 23 davon kamen 1139 Menschen ums Leben.[7] Diese Liste ist unvollständig und wurde erst begonnen (November 2018).


Technische Daten


Dreiseitenriss
Dreiseitenriss
Kenngröße Tu-104A Tu-104B
Besatzung 5
Passagiere 70 100
Länge 38,85 m 40,05 m
Spannweite 34,54 m
Höhe 11,90 m
Flügelfläche 174,40 m² 183,50 m²
Flügelstreckung 6,80 6,50
Flügelpfeilung 37° 30′
Rumpfbreite 3,50 m
Kabine Länge: 16,11 m
Breite: 3,20 m
Höhe: 1,95 m
Volumen: 143,20 m³
Länge: 20,12 m
Breite: 3,20 m
Höhe: 1,97 m
Volumen: 149,20 m³
Frachtraumvolumen 13,00 m³ 28,00 m³
Fahrwerkspurbreite 11,83 m
Radstand 14,10 m 15,32 m
Leermasse 41.600 kg 42.500 kg
Zuladung 34.400 kg 33.500 kg
Nutzlast 9.000 kg 12.000 kg
max. Startmasse 76.000 kg
Flächenbelastung 435,5 kg/m² 457,7 kg/m²
Leistungsbelastung 3,9 kg/kp
Triebwerke zwei Strahltriebwerke Mikulin AM-3M
Leistung je 6750 kp
Tankvolumen 33.000 l
Kraftstoffverbrauch 6000 l/h
Höchstgeschwindigkeit 900 km/h
Reisegeschwindigkeit maximal 800 km/h
wirtschaftlich 750 km/h
Landegeschwindigkeit 200 km/h
Reichweite 3100 km mit maximalem Tankvolumen
2650 km mit maximaler Nutzlast
3100 km mit maximalem Tankvolumen
2100 km mit maximaler Nutzlast
Dienstgipfelhöhe 11.500 m
Reiseflughöhe 10.000 m
Start- / Landerollstrecke 2000 m / 1100 m mit Bremsschirm 2000 m / 1800 m

Rekorde


Im September 1957 stellte die Tu-104A an drei Tagen einen Höhenrekord von 20.000 kg Nutzlast in 11.221 m auf. Weiterhin stellte dieses Flugzeug einen Geschwindigkeitsrekord von 847,498 km/h mit 20.000 kg Nutzlast in der Platzrunde auf. Auch mit einer Tu-104A wurde ein Geschwindigkeitsrekord von 970,821 km/h auf einem 1.000-km-Rundkurs mit 10.000 kg Nutzlast erreicht.

Die Tu-104B erreichte gegenüber ihrer Vorgängerin noch größere Leistungen. So wurde mit diesem Typ auf einem 2.000-km-Rundkurs mit 15.000 kg Nutzlast ein Geschwindigkeitsrekord von 1.015,86 km/h aufgestellt. Weiterhin schaffte die Tu-104B einen Höhenrekord von 12.799 m mit 25.000 kg Nutzlast.

Im Werk Nr. 22 wurde eine Tu-104B mit der Werknummer 920905 aus der laufenden Produktion zur Version Tu-104E für Rekordflüge umgebaut und als СССР–42443 für das Forschungsinstitut der Aeroflot (GosNII) zugelassen.[16] Mit diesem Flugzeug wurde von der Besatzung Kowaljow am 2. Juni 1960 ein Weltrekord auf einer 2000-km-Strecke mit 15.000 kg Nutzlast ein Geschwindigkeitsrekord von 959,940 km/h aufgestellt.[17]

Tu-104 auf sowjetischer Briefmarke (1958)
Tu-104 auf sowjetischer Briefmarke (1958)
Tu-104 auf sowjetischer Briefmarke (1969)
Tu-104 auf sowjetischer Briefmarke (1969)

Trivia


Eine in Berdsk nahe Nowosibirsk seit fast drei Jahrzehnten abgestellte TU-104A wird seit 2009 von einer jungen Frau mit wenigen Helfern restauriert.[18]

In Petrovice (Peterswald, Tschechien), etwa 800 m hinter der deutschen Grenze (Lage), dient eine neben der Landstraße abgestellte Tu-104 als Restaurant.[19]


Literatur




Commons: Tupolew Tu-104 – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise


  1. Karl-Heinz Eyermann, Wolfgang Sellenthin: Die Luftparaden der UdSSR. Zentralvorstand der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, 1967. S. 38
  2. Unger, Fliegerrevue Extra Nr. 4, S. 119
  3. Ulf Gerber: Das große Buch der sowjetischen Luftfahrt 1920–1990. Rockstuhl, Bad Langensalza 2019, ISBN 978-3-95966-403-5, S. 608, 619 und 621.
  4. Karl-Heinz Eyermann: Strahltrainer, Deutscher Militärverlag, Berlin 1971, S. 48
  5. Ulrich Unger in Fliegerrevue Extra 3, zit. in: Holger Lorenz: Start ins Düsenzeitalter. hollipress-Eigenverlag 2008, ISBN 978-3-931770-75-4, S. 188/190
  6. Heiko Thiesler: Paukenschlag vor 60 Jahren: Tu-104 geht in Liniendienst. In: Fliegerrevue. Nr. 08/2016, S. 48–51.
  7. Unfallstatistik Tupolev Tu-104, Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 5. November 2018.
  8. Unfallbericht TU-104A CCCP-42362, Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 19. August 2017.
  9. Flugunfalldaten und -bericht Tu-104B CCCP-42438 im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 28. Januar 2022.
  10. Unfallbericht TU-104 OK-NDD, Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 27. Oktober 2019.
  11. Unfallbericht TU-104B CCCP-42411, Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 24. Januar 2022.
  12. Flugunfalldaten und -bericht TU-104B CCCP-42506 im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 24. Januar 2022.
  13. Flugunfalldaten und -bericht TU-104B CCCP-42486 im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 24. Januar 2022.
  14. Unfallbericht TU-104B CCCP-42471, Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 27. Oktober 2019.
  15. Flugunfalldaten und -bericht TU-104A CCCP-42332 im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 27. September 2021.
  16. Unger, Fliegerrevue Extra Nr. 3, S. 123 (Bauliste aller produzierten Tu-104).
  17. Unger, Flieger Revue Extra Nr. 4, S. 125
  18. Miquel Ros: Russian woman's remarkable mission to restore Soviet jet airliner. In: CNN Travel. CNN, 7. Oktober 2015, abgerufen am 3. November 2022 (englisch).
  19. Ex CSA TUPOLEV 104 ✈ AIR RESTAURANT OK-LDC at Petrovice. In: YouTube. Eurofilms - Planes & Aviation, 20. Oktober 2021, abgerufen am 3. November 2022.

На других языках


- [de] Tupolew Tu-104

[en] Tupolev Tu-104

The Tupolev Tu-104 (NATO reporting name: Camel) is a retired twinjet, medium-range, narrow-body turbojet-powered Soviet airliner. It was the second to enter regular service, behind the British de Havilland Comet, and was the only jetliner operating in the world from 1956 to 1958, when the British jetliner was grounded due to safety concerns.[1]

[fr] Tupolev Tu-104

Le Tupolev Tu-104 (Camel dans la désignation OTAN) est le premier avion de ligne soviétique à réaction. Mis en service en 1956, il est le deuxième appareil de ce type à effectuer des transports civils réguliers, après le De Havilland Comet, opérationnel depuis 1952. Il s'agit d'un biréacteur court-courrier, dont la conception dérive directement d'un avion militaire, le bombardier stratégique Tu-16. Il constitue la première réalisation notable de l'URSS en matière d'avions civils.

[it] Tupolev Tu-104

Il Tupolev Tu-104 (in caratteri cirillici Туполев Ту-104, nome in codice NATO Camel[1]) era un bimotore di linea a getto a medio raggio progettato dall'OKB 156 diretto da Andrej Nikolaevič Tupolev e sviluppato in Unione Sovietica nella seconda parte degli anni cinquanta.

[ru] Ту-104

Ту-104 (Туполев-104) — первый советский пассажирский самолёт на реактивной тяге, и второй в мире, после британского De Havilland Comet. В первые два года своей эксплуатации, с 1956 по 1958 годы Ту-104 являлся единственным эксплуатировавшимся реактивным пассажирским самолётом в мире из-за прекращения полётов De Havilland Comet летом 1956 года и до введения в коммерческую эксплуатацию американского Boeing 707 в октябре 1958 года.



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